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Über Shantys

Chronik

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„Shanty“ - was ist das eigentlich?

„Shantys“ sangen die Seeleute, um bei der Schinderei an Bord im Rhythmus der Arbeit zu bleiben, denn die schwere Arbeit auf den Segelschiffen und Fregatten war nur gemeinsam zu schaffen. Anker lichten, Wasser abpumpen, das Schiff mit Tauen an der Pier verholen, das alles ging mit „Armstrongs Patent“, d.h. mit Muskelkraft. Leistenbrüche waren bei den Matrosen, den nach Tabak und Rum stinkenden Kerlen aller Hautfarben, ein bekanntes Malheur. Und wenn am Kap Horn in finsterster Sturmnacht mit schäumenden Brechern Segel gesetzt werden mussten, dann waren die Männer im hohen Mast der Hölle so nah.

Ob beim Hieven der schweren Stockanker, beim Setzen der Segel, beim Aufziehen von Gewichten, beim Durchholen von Tauen und Anderem, die rhythmisch betonten Shantys waren stets zu hören. Gefährliche Kap Horn-Umsegelungen, Klabautermann, Teufelsbeschwörung, Heimweh, Fernweh und Liebe, Häfen und Palmen, immer wieder tauchen diese Begriffe in den Gesängen auf.
Viele Shantys hatten ihren Ursprung in alten Arbeitsliedern der Holzfäller oder Goldgräber, sowie in Liedern der Farbigen beim Laden und Löschen der Fracht. Die Sprache an Bord galt als unfein und deftig, man sprach ein blumenreiches Pidgin-English.
Und der Shanty-Man - ungekrönter König an Bord der Tiefwassersegler - war es, der aus all diesen Details einen Song - ein Arbeitslied - zusammenstellte. Der Shanty-Man sang die improvisierten Solo-Stellen, die Mannschaft antwortete im Rhythmus der auszuführenden Arbeiten.

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Segel setzen oder Segel einholen:
bei jedem Wetter!

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Hiev an:
Die Segel an den Wind anpassen

An Bord der Schiffe haben sich mehrere Arten von Shantys entwickelt: Heaving-Shantys um ein Capstan zu drehen (Beispiel: „What shall we do with the drunken Sailor“), Hauling-Shantys zum Ziehen von Tauen und Pumping-Shantys(Beispiel: „Aroving“). Die sorgten dann entweder für gleichmäßige Gehbewegungen, stellten den Takt für ruckweise Zieh-Arbeit oder rhythmisches Pumpen sicher.

Bei den Hauling-Shantys kann man zwei Arten unterscheiden:
Halyard Shantys (Long-haulers) begleiteten das lange Durchholen der Taue beim Segelsetzen (Beispiel „John Kanaka“). Meistens sind es vierzeilige Strophen, in denen sich kraftvoll und sangesstark der Solo- und der Chorgesang abwechseln.
Tacks- and Sheetshantys (Short-haulers) wurden gesungen, wenn wenige Zieh-Bewegungen zum Ziel führten (Beispiel: „Haul upon the Bowline“). Auf das meist einzeilige Solo des Vorsängers folgte ein auch einzeiliger Refrain des Chores, das letzte Wort wird herausgepresst und mit ihm das Tau durchgeholt.

Eine weitere Art von Shantys sind die Forebitter oder Forecastle-Songs (Beispiel: „Susanna-Song“). Diese Lieder wurden von den Matrosen vorwiegend während ihrer Freiwache gesungen, wenn sie sich auf dem Vorschiff (engl. forecastle) aufhielten. Als Sitzgelegenheit benutzten sie dabei gerne die Poller (engl. forebitt). Diese Gruppe wird ergänzt durch Hafenballaden und diverse Arten von Seemannsliedern.

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Warping the Ship alongside by Capstan:
Das Schiff längsseits mit der Winde holen

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Bei Sturm und hohem Wellengang:
Wasser aus dem Schiff pumpen

Die literarische Forschung liefert uns die erste Andeutung von seemännischen Arbeitsliedern in einem Manuskript aus der Zeit des englischen Königs Heinrich VI. (1421-1471): Eine Seeballade, vielleicht die älteste in Europa, handelt von einem Schiff voller Pilger, die von Wales nach Spanien zum Schrein des heiligen Jakob in Santiago de Compostela wollten.
Der erste Hinweis auf das Singen von Arbeitsliedern beim Holen eines Taues, was die Seeleute später „Shantying“ nannten, und auf einen Vorsänger, der später „Shanty-Man“ genannt wurde, findet sich in den Werken eines Dominikaner-Mönches, Felix Fabri aus Ulm, der 1493 auf einer venezianischen Galeere nach Palästina segelte.
Shanty-Männer werden beschrieben als Matrosen, die bei der Arbeit singen: ein Konzert zwischen dem Shanty-Man, der Kommandos aussingt, und Shanty-Boys, den arbeitenden Matrosen, die singend auf das Kommando antworten.
Während Seemannslieder die Romantik der See beschreiben, stellen Shantys also regelrechte Arbeitsgesänge dar. Sie wurden an Bord nicht zum Vergnügen gesungen, sondern um die schwere Arbeit gemeinsam zu bewältigen!
Die Titel der bekanntesten Versionen der Shantys stammen meistens aus der Zeit 1820-1870 oder sind noch jünger.

Mit der Automatisierung der modernen Schifffahrt wurde das Shanty-Singen zur Nostalgie. Die Tradition wird heute vorrangig in zahlreichen Shanty-Chören in Deutschland und den Niederlanden gepflegt.
Ein interessanter Artikel dazu erschien nach dem ISSA Ostsee Festival im Schleswig-Holstein Journal (Ausgabe 41 vom 10.10.2009): „Des Fährmanns Sehnsucht in Noten“, den wir gerne zum Lesen empfehlen.